Über 500 Menschen interessierten sich für das Zeitdokument von Felix Müller


Film Mit einem solchen Zustrom an Besuchern hatte niemand gerechnet: Über 500 Neuenburger Bürgerinnen und Bürger wollten den Film von Felix Müller "Andere Zeiten - Neuenburg am Rhein im Zweiten Weltkrieg" sehen, in dem der junge Filmemacher Zeitzeugen nach ihren Erlebnissen befragt.
Film Schnell mussten alle verfügbaren Stühle in den für 300 Besucher bestuhlten Zähringersaal des Stadthauses geschleppt werden, das Publikum saß auch auf den Treppen und füllte die Galerie. In seiner Begrüßung freute sich Bürgermeister Joachim Schuster, dass das Interesse an der Geschichte der Stadt so lebendig ist, wie sich schon vor einem Jahr bei der Vorstellung der Grißheimer Ortschronik beobachten ließ. Die Neuenburger Bürgerstiftung hatte das Projekt mit 1.000 Euro gefördert. "Neuenburg wird immer mehr zu einer Stadt der Regisseure und Schauspieler", freute sich Schuster, als er Felix Müller kurz vorstellte. Uli Edel, Werner Siebert und Mike Maas seien bekannte Namen, in dieser Reihe sei nun auch der junge Felix Müller zu nennen. Der Film mache nicht nur die große Not und das Elend deutlich, das die Neuenburger Bürger während des Zweiten Weltkriegs und der Nachkriegszeit zu ertragen hatten, sondern zeige auch, "was unsere Bürgerschaft in der Zeit des Wiederaufbaus geleistet hat und welche enorme Entwicklung unsere Stadt mit ihren Stadtteilen in den letzten 70 Jahren genommen hat". Schon vor Beginn der Veranstaltung gab es unter den Zuhörern Gespräche über die damalige Zeit, auch nach dem Krieg, als viele der obdachlos gewordenen Neuenburger Familien in Baracken wohnen mussten, was teilweise bis zu 15 Jahre dauerte.
Felix Müller berichtete zunächst von der Vorgeschichte des Films, die als "Kaffeekränzchen mit alten Neuenburgern" begonnen hatte und jetzt mit den professionellen Mitteln des Studenten für Medienkonzeption eine erweiterte und veränderte Auflage gefunden hat. In der kriegsbedingten Zerstörung Neuenburgs im Jahr 1705, als die Bevölkerung zehn Jahre ins Exil vertrieben und die Stadt niedergebrannt wurde, habe Neuenburg seine Seele verloren und sich bis heute nicht von diesem Schicksal erholt, hatte Schuster in seiner Begrüßung gesagt. Hauptthema sind die Erinnerungen an die Ereignisse in den Kriegsjahren 1940 und 1944, aber die Berichte der acht Männer und Frauen, die damals Kinder und Jugendliche waren, bringen auch auf eine beklemmende Weise die Vorgeschichte und die ersten Anzeichen des kommenden Krieges zur Sprache wie den Bau von drei Bunker-Reihen auf der Gemarkung. "Da haben wir schon gemerkt, dass etwas im Anzug ist", berichtet Hilda Scherrer. Und man habe schon vermutet, dass die Bunker, wenn sie da sind, auch mal benutzt würden. Die Auswirkungen des Kriegs auf den Alltag der Menschen lassen sich anhand der Berichte geradezu hautnah erleben, etwa wenn Hedwig Roszkiewitcz, Jahrgang 1925, ihre Ohnmachtsgefühle beschreibt angesichts der brennenden Stadt, die man aus dem Zunzinger Exil sah: "Was wird aus uns?". Als in einer kurzen Sequenz aus einem Originalfilm die Sprengung des Turms der Marienkirche zu sehen war, hätte man im Stadthaus eine Stecknadel zu Boden fallen hören können, die Stille war atemlos. "Der Krieg ist das Schlimmste für die Menschen. Hoffentlich müssen das die Jungen nicht erleben", lautete das Fazit von Helmut Müller, Großvater des Filmemachers.
Nachdem der Film mit dem Schiller-Zitat "Dreifach ist der Schritt der Zeit: Zögernd kommt die Zukunft herangezogen, Pfeilschnell ist das Jetzt entflogen, Ewig still steht die Vergangenheit", geendet hatte, herrschte zunächst tiefes Schweigen, danach gab es rauschenden Beifall. Der Film habe auf berührende Weise die Seele der Stadt gezeigt, "sie hat sich selber erzählt", stellte Bürgermeister Schuster am Ende fest. Die "Ü-80-Generation" sei besonders wichtig, sie habe nach dem Krieg die Stadt aufgebaut und zu dem gemacht, was sie jetzt ist. Er freute sich über die im Film dokumentierte "Offenheit und Ehrlichkeit auch bei schwierigen Themen". Für einige der Zeitzeugen war die Reise in die Vergangenheit während der Interviews mit starken Emotionen verbunden. Erst im Verlauf des Gesprächs und beim Anschauen der alten Fotos seien die Erinnerungen wieder deutlich zurückgekehrt, sagten einige.
Unter den Zuschauern waren auch viele junge Leute. "Es hat mich sehr interessiert und die persönliche Sicht der Erzählenden hat mich berührt", sagte die 17-jährige Miriam der BZ. Wenn das Thema in der eigenen Stadt spiele, sei das auf jeden Fall spannend, meinte der 21-jährige Tobias, während sich Daniel (20) bisher nicht vorstellen konnte, dass es aus jener Zeit schon "Videos" gibt. "Es war spannend, die Geschichte mal von anderen Leuten zu hören", meinte er. "Ich wohne in dem Haus, das damals als einziges in unserer Straße stehen blieb", berichtete Nicola (21). Auch sie war berührt von der persönlichen Note und der Vielfalt, die die Beiträge der Zeitzeugen ausmachen.  
Info
Die DVD "Andere Zeiten - Neuenburg am Rhein im Zweiten Weltkrieg" ist im Bürgerbüro der Stadt erhältlich