„Liebe Mutter, mal sehen, wo ich an Deinem nächsten Geburtstag bin"

Am 15. März 1944 ist der 19-jährige Karl David in der Ukraine gefallen.

Historisches Schaufenster Neuenburg am Rhein. In dieser Reihe erscheinen Beiträge des Stadthistorikers und langjährigen Ratschreibers der Stadt Neuenburg am Rhein, Winfried Studer.

Gedenktafel gefallener Soldaten
Karl David

Heute würde man von einem Start-up sprechen. Kurz nach Kriegsende hatte eine Firma eine gute Geschäftsidee, die in vielen Rathäusern Einzug hielt: ein Gedenkblatt für die Kriegstoten und Vermissten beider Weltkriege. Vermutlich haben nur wenige Bürgermeister keine Bestellung des Gedenkblattes in Auftrag gegeben. Auch in Neuenburg am Rhein ließ Bürgermeister Rudolf Raeck zu Ehren der Neuenburger, die im Krieg gefallen waren, eine Gedenktafel anfertigen und räumte ihr in seinem Dienstzimmer im Rathaus einen Ehrenplatz ein. Irgendwann nach Rudolf Raecks Dienstende verschwand die Ehrentafel aus dem Dienstzimmer des Bürgermeisters und landete zusammen mit vielem anderem Gerümpel auf dem Dachboden des Rathauses. Erst mit der Einrichtung des Museums für Stadtgeschichte wurde sie dort zwischen den auf dem Dachboden gelagerten vielen unnützen Dingen entdeckt und erhielt im ebenfalls im Alten Rathaus eingerichteten Stadtarchiv eine neue Bleibe. Die Ehrentafel für die Neuenburger erinnert mit Fotografien der zwischen 1939 und 1945 Gefallenen an die 83 Mitbürger, die im Krieg ihr Leben verloren haben.

Unter ihnen der jüngste war der am 6. Mai 1925 in Neuenburg am Rhein geborene Karl Josef David, ein Neffe des Neuenburger Stadtpfarrers Karl Friedrich David (1916-1933), der den jungen Mann besonders auch in religiösen Fragen sehr geprägt hat. Karl Josefs Eltern hatten in Neuenburg am Rhein ein Malergeschäft, das heute von seinem Neffen Karl David geführt wird. Nach dem Besuch der Volksschule und des Gymnasiums wechselte er, einer Empfehlung seines Onkels, des Neuenburger Stadtpfarrers David, folgend, in das Berthold-Gymnasium nach Freiburg. Karl war ein „strebsamer und tüchtiger Schüler“. Am 17. Mai 1943 musste er die Schule abbrechen, er wurde zum Reichsarbeitsdienst verpflichtet und am 25. August 1943 zur Wehrmacht einberufen und kam zur Ausbildung nach Besançon. Am 17. Februar 1944 kam Karl im Osten zum Fronteinsatz, wo er sein junges, hoffnungsvolles Leben am 15. März 1944 verlor.

Von der ehemaligen Stadträtin Myrta David erhielt ich ein sorgfältig gehütetes Kästchen mit etwa 80 Feldpostbriefen, die Karl David an seine Familie nach Neuenburg am Rhein geschrieben hat und die von der Mutter Karolina David schmerzlich gehütet wurden. Im November 1943 schrieb Karl an die Familie: „Das erste Mal, dass ich beim Kommiss auch spüre, dass Sonntag ist. Denn heute morgen war ich in einem Feldgottesdienst mit meinem Freund Leo. Wir waren insgesamt 10 Mann von der Kompanie. So allmählich merkt man doch, dass das dazu gehört. Wenn es einigermaßen geht, gehe ich nächsten Monat wieder, ich habe es mit Leo schon besprochen“. Am 8. März 1944, wenige Wochen bevor er gefallen ist, erhielt die Familie seinen letzten Brief. „Ich lege mich nie schlafen, wenn auch nur zwei Stunden, ohne vorher ein Abendgebet verrichtet zu haben“, schreibt er am Schluss des Briefes an seine Familie.

Eine Karte mit einer weißen Rose, dem Symbol einiger Münchner Studenten gegen den Nationalsozialismus, den Karl am 8. September 1943 zum Geburtstag an die Mutter geschrieben hat, ist mir unter den vielen Briefen in besonderer Erinnerung und hat mich sehr berührt. Karl schreibt: „Liebe Mutter, zu Deinem Geburtstage am 12. wünsche ich Dir alles Gute, vor allem Gesundheit und Gottes Segen. Leider reicht die Zeit nicht mehr zu einem Brief, da wir heute wegfahren. Mal sehen wo ich an Deinem nächsten Geburtstage bin. Nochmals herzliche Grüße und Glückwünsche, Dein Karl“.

Wir wissen, wo Karl an Mutters Geburtstag ein Jahr später war: „Soldat Karl David ist am 15. März 1944 im Alter von 19 Jahren bei schweren Abwehrkämpfen im Osten gefallen. Er gab sein junges Leben für seine liebe Heimat und sein Vaterland“, schreibt der Kompaniechef an die Familie. Auf meine Nachforschungen bei der Deutschen Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen deutschen Wehrmacht in Berlin konnte mir diese nur mitteilen, dass Karl David „am 15.3.1944 vier Kilometer nördlich von Kniahinin / Ukraine, etwa 50 km nordöstlich von Broda, gefallen ist“.

Sein Freund Leo schrieb nach Karls Tod an die Familie: „Am 15. März, etwa 6.30 Uhr, sind wir von vielen Panzer und Inf. angegriffen und zum Rückzug gezwungen worden. Da wir beide das Pech hatten und als letzte zurück konnten, weil wir unseren Zug sichern mussten, bekam Karl einen Kopfschuss und war sofort tot (Zeit 11.30 Uhr). Da der Feind kurz hinter uns war, konnten wir leider seine privaten Sachen nicht mehr sichern. Ich kann es bis heute nicht begreifen, dass Karl nicht mehr am Leben ist.“ 

Der Kompaniechef der Dienststelle schrieb am 20. Mai 1944 an die Familie: „Ihr Sohn konnte leider nicht mehr geborgen werden und so wurde ihm die letzte militärische Ehre versagt. Es ist aber mit Bestimmtheit anzunehmen, dass die gefallenen deutschen Soldaten von der russischen Zivilbevölkerung auf deren Begräbnisstätten beigesetzt wurden. Die endgültige Klärung kann erst nach Kriegsende oder einem Vormarsch erfolgen.“

Geburtstagskarte mit weißer Rose